Die Standarte, aus Leinen mit schwarz-gelbem Rand und dem Doppeladler in der Mitte, blau, gelb, die Stickerei silbern, das Bild des Heiligen Georg im Standarten-Band, mit der Inschrift „Nikolaus Dragoner“ und dem Wahlspruch: „Ehre, Treue, Pflicht“ (Gariboldi).

 

Aus "Wir alten Österreicher", Nora URBAN über die Umbruchstage im November 1918:

 

„Weißt Du, was wir alle vergessen haben?“

„Nein!“

„Die Standarte!“

„Die Standarte! Wo ist sie, um Gottes willen?!

„In der Kanzlei. Das Kanzleifräulein hat es mir eben gesagt. Ich bin ihr vorhin begegnet. Da hat sie mir zugeflüstert: ‚Im Kasten in der Kanzlei liegt die Standarte neben der silbernen Ehrentrompete, die die Stadt Marburg dem 5. Dragonerregiment geschenkt hat! Die Kanzlei liegt im Parterre!‘ Sie lasse das Fenster angelehnt. So könnten wir nachts einsteigen und sie holen. Daß auch ich es vergessen konnte! Es ist eine Schande!“

 

In der Tat, von den Herren, die sich doch alle darum gekümmert hatten, ihr Hab und Gut aus der Kaserne zu retten, Pferde, Sättel, Wagen, der Oberst, das heißt eigentlich die Oberstin, tausendfünfhundert Kilo Kartoffeln und fünf Säcke ukrainischen Weizen, der Oberst hätte fast darüber sein Pferd vergessen – an alles hatte man sich erinnert, nur nicht an die Standarte! Ich dachte an den 6. August vor viereinhalb Jahren, als sie am Tisch am Exerzierplatz gelegen war und Rittmeister Graf Auersperg den Mannschaften den Eid vorgesprochen hatte:

„Wir schwören bei Gott dem Allmächtigen den heiligen Eid, Kaiser und Vaterland treu zu dienen bis in den Tod!“

 

Wie viele waren den Heldentod gestorben! Wie viele wurden zu Krüppeln geschossen! Wie viele Hunderttausende waren in den letzten Tagen gefangengenommen worden! Sie hatten ihr Leben gelassen, weil sie einen Eid geschworen hatten auf dieses Stück Leinen mit dem schwarz-gelben Rand und dem Doppeladler in der Mitte. Auf das schon ihre Väter und Großväter geschworen hatten und ihr Blut vergossen. Vor hundert Jahren in der Schlacht bei Leipzig, bei Solferino, bei Königgrätz. Ein Stück Tuch, das ihnen allen heilig gewesen war, und das wir, die noch lebten, vergessen hatten! Weil es keinen Kaiser mehr gab und keine Monarchie und weil wir den Boden unter den Füßen verloren hatten.

 

Als es Nacht war und alle Lichter erloschen, schlichen wir uns zur Kaserne. Weit und breit niemand. Auch kein Wachposten. Nichts. Das Kanzleifenster war angelehnt, Otto stieß es auf und schwang sich ins Zimmer. Ich hielt auf der Straße Ausschau, um ihn rechtzeitig zu warnen, falls sich etwas rühren sollte. Es rührte sich nichts ...

Dann erschien Otto am Fenster. Er reichte mir ein zu einem Viereck säuberlich zusammengefaltetes Stück Leinen. Dann eine größere Schachtel und schließlich zwei große Flaschen ...

Dann sprang er aus dem Fenster und sagte: „Das Einbrechen hat sich gelohnt!“"

„Was ist denn in den Flaschen?“

„Sliwowitz! Drei Liter! Die Flaschen sind neben der Standarte gestanden wie zwei Wächter. Ich hab' sie mitgehen lassen.“

Wir legten das schwarz-gelbe Tuch mit dem Doppeladler auf den schwarzen Deckel des Klaviers. Darüber die silberne Trompete. Es war ein Blickfang.

 

Ich weiß nicht, ob dem, der die Anzeige erstattet hatte, die Standarte abgegangen war oder der Sliwowitz.

 

Einige Tage später nämlich läutete es bei uns. In der Tür stand ein kleiner Mann mit einer schwarzen Brille, schwarzem Schopf und schwarzem Bärtchen. Er stellte sich als Polizeidirektor Senekovich [Dr. Senekovic] vor und sagte, er sei beauftragt, eine Hausdurchsuchung vorzunehmen.

 

„Aber bitte“, sagte Otto, „selbstverständlich. Hier sind auch die Schlüssel vom Keller und vom Dachboden. Gehen wir vielleicht erst durch die Zimmer.“

Der Polizeidirektor entschuldigte sich wortreich, er erfülle eine ihm sehr peinliche Pflicht. Die Frau Oberst habe ihm die Schlüssel vor die Füße geworfen. Er wisse unsere Höflichkeit zu schätzen. Sie betraten als erstes das Wohnzimmer, in dem auf dem Klavier die silberne Trompete in der Sonne glitzerte. Er ging an ihr und der Standarte vorbei, ohne einen Blick darauf zu werfen. Es ist ausgeschlossen, daß Senekovich nicht wußte, was dort auf dem Klavierdeckel lag. Ohne sich umzusehen, ging er aus dem Zimmer.

„Wollen wir noch auf den Dachboden und in den Keller gehen?“

„Ach, das ist doch in Ihrem Fall nicht nötig. Bei der Frau Oberst habe ich allerdings fünf Säcke ukrainischen Weizen requiriert.“

„Die Arme“, lachte mein Mann, „und er war ihr so wichtig!“

Und dann sagte er: „Wollen Sie nicht einen Augenblick Platz nehmen und ein Stamperl Sliwowitz kosten?“

Ob Senekovich ahnte, daß es der Gestohlenene war?

Sie stießen an: „Auf gute Freundschaft!“

„Seien wir doch ehrlich! Was hat uns dieser Krieg genutzt? Alle sind wir Verlierer! Die Sieger und die Besiegten! Ihr, die Österreicher, habt das ganze Reich verloren! Wir, die Slowenen, haben uns eingebildet, wir würden als Mitteleuropäer die Führung übernehmen im neuen Staat der SHS. Wir sind vom Regen in die Traufe geraten. Jetzt regieren uns die Serben! Wir werden ein Balkanstaat! Wie schön war es zu den Zeiten des alten Kaisers!“

Wir tranken noch ein Gläschen.

„Wenn Sie irgendetwas brauchen, wenden Sie sich an mich. Und Sie werden mich brauchen. Denn ich sage es Ihnen nur leise, aber der General ist ein Tyrann.“

Der Polizeidirektor hat sich später als unser bester Freund erwiesen".

[Er hat allerdings am 27. Jänner 1919, als es bei einer Kundgebung in Marburg zu einer Schießerei mit mehreren Toten kam, keine rühmliche Rolle als Polizeidirektor gespielt.]

 

"Ich hätte die Standarte gerne behalten. Wir hätten sie in Ehren gehalten. Sie wäre uns unser Leben lang eine erschütternde Erinnerung gewesen. Aber Otto war ein alter Offizier. Ihm war die Standarte mehr als eine Erinnerung. Sie war ein Wahrzeichen, das nicht ihm gehörte, wenn auch niemand mehr danach fragte. Eines Tages spannten wir also die Rappstute ein und fuhren mit der Standarte und der Silbertrompete nach Graz und gaben die beiden Stücke im Heeresmuseum ab. Dort liegen sie jetzt beigesetzt hinter Glas und bis auf uns weiß niemand mehr etwas von ihrer Geschichte".

 

Die Standarte wurde in den Zwischenkriegsjahren immer wieder für die Ausrückungen der Veteranen des Regiments in Graz aus der Vitrine geholt.  Zuletzt veröffentlichte Dr. Sergej VRIŠER im Jahr 2000 in seinem Buch "Finfarji" das obige Schwarz-Weiß-Foto der Standarte des DR 5. Vermutlich erhielt er nur das Foto und hat das Original nie gesehen, ansonsten wäre ein Farbfoto und eine genaue Beschreibung sowie die Anführung ihres Verbleibs von ihm zu erwarten gewesen. Die Herkunft des Fotos, sowie vieler anderer Fotos in seinem Buch, ist leider auch nicht nachzuvollziehen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Standarte noch existiert. Im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien ist sie nach offizieller Auskunft nicht. Sie könnte allerdings irgendwie den Wirren des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen sein.

 

Die Signaltrompete mit der Inschrift "Den todesmutigen Schützern unseres geliebten Vaterlandes zur Kaiserfeier 1916 gewidmet von der Stadtgemeinde Marburg" hingegen befindet sich im Laibacher Museum "Muzej novejše zgodovine Slovenije" und wurde zur Zeit Jugoslawiens vermutlich in den 1970er Jahren angekauft. Von wem, ist allerdings nicht mehr nachzuvollziehen.