Das Dilemma des Divisionskommandanten


Lageinformation und neuer Auftrag durch XI. Korps (Lemberg)

Mitternacht 21 08 1914, Depesche von Sassow, zeitlich nach  dem Entschluss Zarembas:

  • Stärkeres gemischtes fdl Detachement mit viel Kavallerie und Geschützen (?) im Vorrücken über Olejow nach Zloczow.
  • Patrouillen dieser Detachements waren gegen Abend zwei Kilometer von Zborow – Pluchow entfernt.    (Na und?)
  • Von Prezany 5 Baone der 11. Inf Div im Vormarsch gegen Zborow; dürften (!) heute abends schon eingetroffen sein.  (Weit gefehlt!)
  • Von Tarnopol wird eine Kav Div gegen Zborow vorgehen.    (Wann?)
  • 4. Kav Div morgen zeitlich aufbrechen (!) und gegen Zborow in Rücken (!) des Gegners einwirken (?!).
  • Wünschenswerte (!) Verbindung mit Tarnopol, Zborow und Pluhow telephonisch versuchen (!).

 

Falsche Lageansicht des übergeordneten Kommandos:

(sozusagen „einen Tag zu früh”):

  • Starke fdl Kolonne bei Zalosze eingebrochen, vorgerückt bis in die Linie Olejow – Reniow Wertelka, im Vormarsch auf Eisenbahnlinie Zborow – Tarnopol.

In Wahrheit waren es nur einige Kosaken-Sotnien in Zugstärke!

 

Die Absicht des XI. Korps (Lemberg) für den 21. August war also:

  • Angriff der 11. Inf Div auf Zborow (sie war noch weit davon entfernt, dies umsetzen zu können...)
  • 8. Kav Div in Flanke und Rücken vom Süden (sie war ebenfalls noch nicht im Raum...) 
  • 4. Kav Div von Norden.

GM Zaremba schreibt in seinen Erinnerungen:

  • „…Nach dem Wortlaut des Befehls war es nicht ausgeschlossen, dass der Gegner sich bereits auf dem Marsche befand. Es gab schönes Wetter, die Nächte waren licht: es konnte daher zum Zwecke einer Überrumpelung von Zborow –Zloczow auch ein Nachtmarsch von Seiten des Feindes in Betracht kommen.”

Kritik an der Auftragsformulierung 4. Kav Div morgen zeitlich aufbrechen und gegen ZBOROW in Rücken des Gegners einwirken”:

  • Schlechte Auftragsformulierung mangels Nennung von Zielsetzung, Führungsbereich, Zeitvorgaben. Es lässt sich kein Kampfplan des übergeordneten Kommandos oder der anderen Divisionen davon ablesen oder interpretieren (zeitliche und örtliche Zusammenhänge).

  • Wegnahme der Eigenverantwortlichkeit über die Abmarschzeit („zeitlich aufbrechen“): das ArmeeGrpKdo nahm auf Grund der fehlenden Verbindungen an, die Kav Division sei noch bei PODKAMIEN, also etwa 20 km nordöstlich der derzeitigen Position). Dieser erste Teil des Befehls erweist sich als fatal: Er indiziert, dass für die 4. Kav Div Eile geboten sei.

  • Gegen Zborow”: Zaremba konnte/musste annehmen (insbesondere im Zusammenhang mit der Lageinformation), er stehe bereits in der nördlichen Flanke des Gegners, was sich als falsch erwies!

  • Im Rücken des Gegners einwirken ist wohl ein schwach bindender Auftrag, der keinen Entscheidungsstoß durch die 4. Kav Div erwartet, allerdings auch aussagt, die fdl. Kräfte nicht an der Spitze anzugreifen.

Dem Divisionär und seinem Generalstabschef Obstlt Oskar Maxon de Rövid machte der nach Mitternacht eingetroffene Befehl des XI. KpsKdos kein geringes Kopfzerbrechen. Nach allen bisherigen Meldungen hatte man den Eindruck, dass der Feind günstigenfalls Olejow erreicht haben könnte. Aus dem Befehl war aber herauszulesen, dass er sich bereits bedenklich Zborow genähert hätte......

 

Hätte Zaremba den Auftrag nicht nach taktischer Gewichtung mit nachstehender Reihenfolge interpretieren können, - war es doch der Plan die vorstoßenden Russen einzuschließen?!:

  1. >4. Kav Div in den Rücken des Gegners einwirken<

  2. >gegen Zborow<

  3. >morgen zeitlich aufbrechen<

Er hätte sich folgende Fragen stellen müssen:

  • Wo ist der Rücken? Dies wusste die 4. Kav Div noch nicht. Dies erfordert als erste und wichtige Maßnahme eine Lagefeststellung durch Aufklärungspatrouillen. Das braucht auch Zeit, wozu man zeitlich „aufbrechen“ müsse, aber nicht mit der ganzen Division. Jene wäre mittlerweile in eine Position zu führen gewesen, aus der die taktische Handlungsfreiheit weiter besteht. Dazu wäre der bisherig befohlene Raum Wirtshaus OBYDRA durchaus weiterhin geeignet gewesen.

  • gegen Zborow“: Daraus wäre die Stoßrichtung der Div auf den Rücken des Feindes auch interpretierbar gewesen.

  • zeitlich aufbrechen“: Nun, was die Aufklärung betrifft - keine Frage, und für das Verschieben in eine gute Ausgangsposition auch, aber nicht die gesamte Division in eine ungeklärte Lage werfen!

Jedenfalls ist eine ausreichende Lagebeurteilung mit einem solchen groben Auftrag und einem solchen Wissenstand über den Feind („Stärkeres gemischtes fdl Detachement mit viel Kavallerie und Geschützen in Vorrücken“) gar nicht möglich, daher gibt es nur zwei Zielsetzungen, die es vorerst zu erwirken gilt:

  1. Genauere Aufklärungsergebnisse und

  2. ein derartiges Positionieren der Division, dass die größtmögliche Handlungsfreiheit in Bezug auf die gegnerische und eigene Lageentwicklung sichergestellt wird.

Um allen Möglichkeiten zu genügen, entschloss sich das Divisionskommando die Division nicht beim Wirtshaus Obydra (Pod Karczmami, 396, Wegkreuzung westlich Troscianiec Wlk, das Haus existiert heute nicht mehr), sondern auf der Höhe 418 südlich Perepelniki bereitzustellen.

 

Dies war offenbar die Maßnahme, um Zielsetzung 2 (Handlungsfreiheit) zu erreichen.

 

Das LIR 35 hatte allerdings gegen 0400 Uhr (Abmarsch 0300 Uhr) bereits den eingangs befohlenen Raum, das Wirtshaus Obydra nördlich Olejow erreicht und schob je einen Zug gegen Troscianiec und Olejow vor. Durch diese Grundaufstellung kam das Regiment in die Position der linken Flanke der eigenen Division, was sich später als fatal herausstellte, da sie damit als erstes an den von Osten nach Westen stoßenden Feind kamen und damit von der Division isoliert wurden.

 

Die Disposition der Infanterie ohne Kavallerie an der linken Flanke zeigt, dass Zaremba offenbar doch nicht glaubte, dass eine Bedrohung an seiner linken Flanke erfolgen könnte, sondern die Gefahr vor der Division, eher noch im rechten Flügel liegen müsste. Oder ignorierte er einfach seine eigene Infanterie?

 

Der Befehl zum Verschieben erreichte das Inf Regiment kurz nach 0500 Uhr. Nunmehr sollte es weiter, nach südlich von Lopuszany (Kreuz 388) gehen.

Um 0630 Uhr war das LIR schließlich am neu anbefohlenen Punkt. Die Dauer lässt sich mit einem gefechtsmäßigen Vorgehen erklären.

 

Zu diesem Zeitpunkt war die Kav Div bereits seit 45 Minuten (um 0545 Uhr) im Raum Höhe 418, nachdem es in folgender Gliederung in diesen Raum vormarschiert war:

  • DR 15 als Vorhut mit seiner 2. Eskadron als Vortrab und mit einer linken Seitenhut in der Stärke eines Zuges (zumindest der Kdt der 2. Eskadron nahm damit eine Bedrohung von Osten an, obwohl in seinem linken Flügel, nach Süden gehend, er die Infanterie annehmen konnte...),

  • danach die 1. Halb-Schwadron der 3. Eska/UR 13,

  • die MG- Abt UR 1,

  • 2. Halb-Schwadron der 3. Eska/UR 13,

  • 2 Batterien, 1.und 3. RAD 11,

  • UR 13, UR 1, DR 9 und die Kav Div-Anstalt, die Telegraphen-Abt und die Kav Mun-Kolonne.

Diese Gliederung spricht für eine taktische Annahme (Feindlagebeurteilung), dass die Notwendigkeit bestehen könnte, die Feuerelemente (MG, RAD) vor dem Pulk der Kavallerie-Regimenter rasch in die Front der Kolonne zu bringen. Die 4. Div marschierte also so vor, als ob man genau wüsste, wo der Feind zu erwarten ist, nämlich in ihrer Front.

 

In einer unklaren Lage (wie sie in Wirklichkeit war) hätte man mehr Bewegungs- (Reiter) Elemente in die Front gesetzt, um die schwereren Elemente aus der Tiefe situativ disponieren zu können (keine frühzeitige Bindung).

 

Konträr zu diesem taktischen Vorgehen lesen sich die (retroperspektiven) Notizen Zarembas zur Situation um 0630 Uhr:

 

„Alles ist in größter Spannung, die Zeit verstreicht und weder von den Nachrichtendetachements noch von den nachts entsendeten Patrouillen – die sonst vorzügliches geleistet haben, kommt eine Nachricht von Olejow! … Ich halte noch immer zurück, in der festen Überzeugung, dass der Gegner den Ort Olejow noch nicht passiert haben kann. Da spricht der Generalsstabchef die Befürchtung aus, dass der Feind doch schon vorbeimarschiert sein wird und wir zur angeordneten Aktion bei Zborow zu spät kommen könnten. Als einen Moment nachher die Herren des Stabes aus dieser Richtung Kanonendonner [...es war eine Bahnsprengung der durchgesickerten 4. Sotnie Orenburger Kosaken....] zu vernehmen glauben, entschließe ich mich schweren Herzens, den Marsch auf Zborow anzutreten.“

 

Eine marschierende Kav Div hatte ein ungefähres Mindest-Längenausmaß von der Spitze bis zur Queue von 10 km! Wie hätte man so eine Kolonne bzw. deren Spuren übersehen können, wenn sie bereits an der 4. Division vorbeimarschiert gewesen wäre? Hätte die lokale Bevölkerung zumindest nicht Auskunft geben können?

 

Tatsächliche russische Lage:

 

Während die 9. russische Div am 20. August durch den österreichischen Landsturm bei Zalosce heftigen Widerstand fand, kam die 10. Div ohne einen Schuss über den Fluss Sereth. Die 9. Div bezog in Zalosce Quartier und sandte 2 Eskadronen 9. Bug Ulanen über Olejow gegen Pluhow, um dort mit Sprengmittel die Bahn zu unterbrechen.

 

Die 10. Div nahm in Bialoglowy und Neterpince Quartier und sandte ebenfalls 2 Eskadronen vor, um die Bahn in der Gegend von Meteniow zu unterbrechen. Dieses Erscheinen dieser Vortruppen erzeugte die Nachrichten vom weiten Vordringen der Russen.

 

Erst am 21. August (also zum jetzigen Zeitpunkt der geschilderten Entwicklungen) wollten die Russen über Olejov Richtung Zloczow vordringen.

 

Kritik bzgl. des neuen Entschlusses GM Zarembas:

  • Die Abänderung des Entschlusses/Befehl erreichte das LIR 35 nicht bevor es abmarschierte, obwohl dafür offenbar ausreichend Zeit gewesen wäre. Zaremba und sein Stab mussten die Infanterie einfach vergessen haben! Selbst wenn ein Meldereiter um 0300 Uhr das LIR bereits versäumte, hätte dieser die Infanterie noch leicht vor Manajow eingeholt und ihr unnützen Umweg und Zeit erspart. Das LIR hätte somit in den Südwest-Abmarsch der Division eingegliedert werden können.

  • Die weniger bewegliche Infanterie wird nunmehr zur linken Flanke der Division, ohne dies zu wissen.

  • Die Infanterie hatte zudem kein direkt unterstützendes kavalleristisches Element zur unmittelbaren Aufklärung, Flankensicherung und zur Verbindung. Dies ist ein taktischer Fehler, noch mehr, da Zaremba ja glaubte, dass die Feindspitzen noch in Olejow waren....

  • Die Division beginnt somit beim Aufmarsch ihre Geschlossenheit (die es gilt, immer in unklarer Lage beizubehalten!) zu zersplittern. Zarembas verwirft seine zuvor selbst definierte Absicht einer geschlossenen Bereitstellung der Kräfte in einem Gelände, aus dem die Handlungsfreiheit je nach Aufklärungsergebnissen und Lageentwicklungen behalten werden kann.

  • Das Problem hätte Zaremba wieder in den Griff bekommen, wenn er mit einem Kav Rgt (z.B. das tiefgestaffelte DR 9) den Anschluss der Infanterie gesucht hätte und somit wieder eine geschlossene Kolonnenordnung oder eine Linienordnung hergestellt hätte. 

Galerie unten:

1. Veränderte Aufmarschrichtung direkt nach Süden, wobei die Infanterie (LIR 35) sogar westlich marschieren musste und zur linken hinteren Flanke wurde.

2. Originalskizze, Vormarsch der 4. Div auf Höhe 419/418, die den Raum dominierende Höhe, sowie auf die davon östlich liegende Höhe Jamny durch L(IR) 35.

3. Die erwähnte dominierende Höhe (späteres Nahkampffeld) als Fotoansicht von Osten aus.

4. Ebenso (linker Pfeil Höhe 418), aus der Distanz von der östlichen Parallelhöhe Jamny gesehen, dem späteren Gefechtsfeld der Infanterie,  der mittlere Pfeil zeigt die Lage des Ortes Perepelniki, der rechte Lopuszany (hinter dem Horizont).

5. Luftbild des besagten Geländeabschnitts (zum Vergrößern per Anklicken).