Leseproben aus dem Tagebuch Curt Krieghammers:                                              Der Einsatz in Donezk, Sommer 1918


17./7. 1918 [Juzowka = Donezk]

Vorgestern soll in der 7. Linie/Längsstraße (die Querstraßen heißen Prospekte), beim Rynek [Ring]-Bazar, eine Schießerei zwischen Bolschewiken und Milizsoldaten gewesen sein, wobei Erstere mehrere, Letztere 1 Toten sowie mehrere Verwundeten hatten.

Die Stadt, trotz angeblich über 100.000 Einwohnern, scheinbar ganz jung, besteht aus lauter parallelen und aufeinander senkrechten geraden Straßenzügen in ihren beiden durch Bahn und Bach getrennten Stadtteilen und hat drüben, wo die 6. und 7. Schwadron sind, auch ein riesiges Stahl- und Eisenwerk der „Neuen russischen Gesellschaft“....

....

23./7. Streik kommt immer näher und macht sich schon ein wenig auf unseren [Eisenbahn-] Strecken fühlbar, außer auf der Linie Jusowo – Juzowka [Donezk], die angeblich eine bezahlte Privatbahn ist.

24./7. Um 3h morgens Nachricht von einem Bolschewiki-Überfall auf Mariupol. Verstärkungen sollen hin abgehen. Trotz Einspruch Brandtners auch 2 Schwadronen von uns, statt von der doch beschäftigungslosen Infanterie.

Um 3h nachmittags geht Rtm Pippal mit der 2. und 5. und ½ 1. MG nach Mariupol ab.

Am Abend erfahren wir, dass dort gestern abends 6-800 Bolschewiken einen Überfall auf den Bahnhof und das Spital, auf die Verpflegsvorräte, dann auf eine menagierende Abteilung und auf die Hafenwache gemacht haben. Sie wurden an einen Ort am Hafen zusammengedrängt, entkamen aber teilweise in Booten. Die Situation dort scheint etwas ungeklärt.

In einem in der Stadt erschienenen Extrablatt steht außerdem, dass die Deutschen Azow westlich Rostow [am Don] genommen haben und gemeinsam mit Türken und sibirischen Kosaken, die von Katerinodar [Krasnodar] von Süden her, gegen das Bolschewiken-Nest Jejsk [Jeisk] vorgehen.

Von dort soll auch ein bewaffneter Dampfer (Kriegsschiff) gegen Mariupol gekommen sein, der von den dortigen Hafen-Batterien bekämpft worden sei. Die Hafen-Batterien haben nach dem Situationsbericht gemeinsam mit einem bewaffneten Dampfer die Bolschewiken am Hafen von Mariupol beschossen....

....

26./7. StbWchtm Kopriwa ist seit gestern abends verschollen; gegen Mitternacht hörte man im anderen Stadtviertel, wo er gewesen sein soll, 15–20 Schüsse. Noch am Vormittag stellt sich heraus, dass er bei einem Mensch [Mädchen] war und nur verschlafen hat. Bodenlos leichtsinnig sind die Leute und unsere jüngeren Offiziere wie Fähnrich Perpal, der oft bis gegen Morgen allein in der Stadt herumstreifen soll, ebenfalls.

Etwas Merkwürdiges ist hier an allen Türen: Es gibt nirgends Klinken, sondern überall nur senkrecht stehende Griffe und in der Türe eine Art Rolle so wie bei den Türen, die man nach beiden Seiten aufdrücken kann.

Der 4. Jahrestag des Mobilmachungsbefehls! Wer hat sich damals nur einen halbwegs richtigen Begriff vom Kommenden gemacht!

 ....

28./7. Um 3h früh werde ich mit der Nachricht geweckt, dass der Offz-Diener Salms [Franz] gegen Mitternacht in den Putilow-Werken, wo der Stab des I. HaRgt untergebracht ist, von rückwärts angeschossen und tödlich verwundet wurde.

Der Doktor der KSK [Kavallerie-Sanitätskolonne] 4 ziert sich hinauszufahren, [Feldkurat] Hiti ist gleich bereit.

....

29./7. Ich fahre zur Division und bespreche mit Weiss eine im Putilow-Werk abzuhaltende Strafexpedition zur Auferlegung von 40.000 Rubel Kontribution für den Mord.

Am Nachmittag reite ich zu Salm und Bregant, überbringe ihnen den dbzgl. Befehl und orientiere mich genau für die morgige Umstellung. Am Nachmittag stirbt [Offz-Diener] Franz, nachdem er auf ausdrückliches Geheiß der Ärzte per Landesfuhr in die KSK 4 überbracht war...

....

30./7. Mit Schmerzen um 5h aufs Pferd, mit 1 JgKp/JgB 28, 3., 6. und 8. Schwadron, 2. MG und IG-Zug hinaus zu den Werken der „Neuen Russischen Gesellschaft“ in Jusowo (nach dem Direktor irrtümlich Putilow-Werk genannt).... Es wird die ganze Bevölkerung auf den Platz vor dem Werkshotel befohlen, dort unter Assistenz von 4 MGs und 2 IGs die Tat und die Strafbestimmungen verlautbart und die Aufbringung der Summe von 40.000 Rubel gegen spätere Verteilung auf alle Inwohner [Inhaber] der Direktion des Werkes auferlegt. Diese sperrt sich zuerst, doch als Salm auf meinen Rat erklärt, im Nichteinbringungsfalle 80 Pferde (je 500 Rubel), die den Direktoren und höheren Beamten gehören, assentieren zu wollen, fällt den Besitzern das Herz in die Hose und sie erklären sofort zu zahlen, doch natürlich unter Protest.

Für 10h vormittags ist auch die Waffenablieferung befohlen, die mit der Vidierung [Prüfung] der Waffenpässe verbunden ist. Salm soll die 40.000 Rubel in Empfang nehmen, während ich mit [Rtm Camillo] Bregant, [Rtm Wilhelm] Mattausch und den jungen Herren die Waffenkontrierung vornehme. Es sind sehr viele Waffenpässe für die Fabrikswache und privat für die Beamten ausgegeben. Wir heben für die Vidierungstaxen 100 Rubel ein. Als wir fertig sind, beginnt die Hausdurchsuchung, die völlig ergebnislos bleibt, da alle Waffen vorher gebracht wurden. 4 Gewehre werden konfisziert und auch diese nur provisorisch bis zur Beibringung von Waffenpässen....Um 3h nachmittags ist alles beendet und wir reiten nachhause...

31./7. Das Mariupoler Detachement soll zurückkommen, endlich! Dieses Herausreißen aus den Verbänden ist zu blöd.

1./8. Wir sollen Bezirkswirtschaftsstellen und wirtschaftliche Aufklärungsstellen bei jedem HaRgt einrichten! Ich fahre zum Intendanten und erreiche, dass je eine solche Stelle pro Regiment genügt.

2./8. Es soll pro Rgt 1 Reiterschwadron improvisiert (!) werden. Leute aus den alten Reitern, Pferde aus den reitbaren Zugpferden und Käufen durch die Kavallerie-Division. Ich wehre mich gegen Sponner und Brandtner, gegen gleichzeitige Auflösung von Feld-Schwadronen. Sponner will zuerst ganz negativ berichten, nimmt aber dann meinen Vorschlag: „Möglich in 2 Monaten unter verschiedenen Voraussetzungen“ an.

3./8. Das Detachement Pippal soll noch 4-6 Wochen in Mariupol bleiben und der Rest der 1. MG dorthin abgehen.

4./8. Die 8. Schwadron ist an einer Entwaffnungsaktion des Sturm-HaRgt 4 in den Kohlengruben östlich von uns beteiligt...

5./8. Die Entwaffnungsaktion in den Kohlengruben hat 1 Gewehr ergeben.

Bei Birzula [Podilsk] soll ein deutscher und ein österr. Truppentransport von Banden in die Luft gesprengt worden sein. Im Raume von Alexandrowsk [Saporischschja] (südlich Jekaterinoslaw) soll ein großer bolschewistischer Aufstand vorbereitet werden.....

....

10./10. Hptm Weiss liest die Wilsonsche [Woodrow Wilson, US-Präsident] Antwort auf das Friedensangebot vor und erzählt, dass bei Birzula 2 österr. und 1 deutscher Transport in die Luft gesprengt wurden...

11./10. Wir werden offiziell benachrichtigt, dass mehrere Kosaken-Armeen und ein polnisches Heer die Absicht haben sollen, in die Ukraine einzubrechen und dass diese Aktion von einem großen Aufstand im Raume Jekaterinoslaw – Taganrog unterstützt werden soll, dessen Ausbruch durch die Sprengung der Dnjepr-Brücke bei Jekaterinoslaw eingeleitet werden soll.

Das HeeresGrpKmdo Kiew hält die Nachricht für unwahrscheinlich, ich auch. Urlaubssperre ist verlängert.

....

18./10. Morgen früh soll die 1., 3. und 4.; mittags Stab und Proviant einwaggonieren. Kaisermanifest!